Das Urteil des Bundesfinanzhofs verkompliziert die Sanierung von Unternehmen erheblich und stärkt das Fiskusprivileg noch einmal erheblich.
Insolvenzverwalter müssen dennoch weiterhin dafür sorgen, dass sanierungsfähige Unternehmen eine zweite Chance erhalten und Arbeitsplätze gesichert werden.
Die Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ist einschneidend für die Insolvenzpraxis. Laut der am Mittwoch, 8. Februar, veröffentlichten Entscheidung verstößt der Sanierungserlass aus dem Jahr 2003 gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und muss gesetzgeberisch korrigiert werden. Konkret bedeutet dies, dass Sanierungsgewinne – also Buch- oder Scheingewinne durch den Forderungsverzicht von Gläubigern im Sanierungsverfahren – als echte Gewinne angesehen werden müssen und damit der herkömmlichen Besteuerung des von der Insolvenz bedrohten Unternehmens unterliegen. Ein Erlass der Steuerpflicht beziehungsweise eine Steuerstundung ist nur noch mit einem Antrag auf unbillige Härte zu erhalten; die Finanzverwaltung hat dann aber allgemein sachliche und persönliche Billigkeitsgründe zu prüfen, und eine Garantie für die Anerkennung gibt es natürlich nicht.
Negativer Effekt auf die Sanierung insovlenter Unternehmen
Das hat erhebliche Auswirkungen auf Insolvenzverfahren und dabei besonders solche, die einen Insolvenzplan als Instrument zur Sanierung der Schuldnerin vorsehen. Die Sanierung wird erheblich verkompliziert beziehungsweise in nicht wenigen Fällen geradezu unmöglich gemacht – mit bislang nicht absehbaren volkswirtschaftlichen Konsequenzen, sofern der Gesetzgeber nicht schnell für Klarheit sorgt.
Denn ein Forderungsverzicht der Gläubiger – in der Regel ein wichtiger Bestandteil des Sanierungsplans, um die Gesundung eines Unternehmens voranzutreiben – führt nun nach dem Willen der Bundesfinanzhofs dazu, dass das von der Insolvenz bedrohte Unternehmen beim Jahresabschluss auf einem stattlichen, wenngleich völlig fiktiven Gewinn „sitzt“ und dadurch einem hohen Liquiditätsentzug durch die Finanzbehörden zusteuern. Liquidität, die natürlich nicht vorhanden ist. Und das wiederum wird beinahe zwangsläufig dazu führen, dass das Sanierungsvorhaben scheitern muss. Denn aus dem Forderungsverzicht und der daraus folgenden Entschuldung entsteht ein massives Anschlussproblem: Das Geld für die Steuerzahlung muss aus anderen Quellen bezogen werden und fehlt damit für die allfällige Sanierung.
Fiskus privilegiert – Sanierung stark erschwert
Zumal die Gläubiger auch noch – zuzüglich zum Forderungsverzicht – unter einer stark reduzierten Quote leiden werden: Steuern sind Masseverbindlichkeiten und werden vorranging an die Fiskalbehörden ausgeschüttet. Der Bundesfinanzhof hat mit dem Urteil also auch praktisch das Fiskusprivileg noch einmal gestärkt, und die übrigen Gläubiger des Insolvenzverfahrens weiter benachteiligt – sie haben kaum einen sachlichen Grund, dem Sanierungsplan zuzustimmen. Denn die oft geäußerte Hoffnung, durch Forderungsverzicht und Zustimmung zum Plan einen Geschäftspartner für die Zukunft erhalten zu können, zerschlägt sich durch das Urteil quasi von selbst. Und auch die Einbindung eines Investors wird nicht mehr ohne Weiteres funktionieren, da ein spürbarer Teil seines Kapitals direkt wieder in die Steuerschuld zurückfließt. Die Attraktivität, eine Sanierung gegen Equity zu fördern, ist somit auch stark beschnitten worden, wenn nicht sogar vollständig zunichte gemacht.
Weniger Möglichkeiten – Regelung gilt auch für bereits angelaufene Verfahren
Die Möglichkeiten, einen Insolvenzplan zur Rettung des Unternehmens und zum Erhalt des Unternehmens durchzusetzen, schwinden damit rapide, das Instrument ist von jetzt auf gleich auf Eis gelegt. Das gilt selbst für bereits angelaufene Verfahren, in denen noch keine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung eingeholt worden ist. Nur wenn diese bereits vorliegt und auf die bislang geltenden Regeln verweist, kann das Insolvenzplanverfahren ohne fiskalische Risiken fortgeführt werden.
Gefordert: Sanierungswillige Insolvenzpraktiker & der Gesetzgeber
Insolvenzpraktiker stehen deshalb ganz kurzfristig vor der Herausforderung, die Sanierung von Unternehmen neu zu denken, wenn das gute und etablierte Instrument des Insolvenzplans aufgrund der fiskalischen Unsicherheiten nicht mehr beziehungsweise nur noch sehr eingeschränkt zur Verfügung steht. Es kann nicht die Aufgabe der Verwalter sein, Unternehmen nur noch zu zerschlagen, um steuerliche Nachteile zu vermeiden, sondern weiterhin dafür zu sorgen, dass sanierungsfähige Unternehmen eine zweite Chance erhalten und Arbeitsplätze gesichert werden. Wie das gelingen kann, muss die Praxis zeigen. Zuerst ist jedoch der Gesetzgeber gefragt, diesen Sachverhalt nunmehr umgehend und im Sinne einer sanierungsfreundlichen Kultur zu regeln.
Mehr:
- Deutscher Steuerberaterverband e.V. , DStV :
Sanierungserlass gekippt: Zeit für den Gesetzgeber zu handeln - Berufsverband der Deutschen Insolvenzverwalter, VID:
Bundesfinanzhof kippt Sanierungserlass des Bundesfinanzministeriums - Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV):
Entscheidung des Bundesfinanzhofes gefährdet Unternehmenssanierungen - Bundesverband ESUG und Sanierung (BV ESUG e.V.) :
Sanierungserlass gekippt – irreparabler Schaden für Wirtschaftsstandort Deutschland
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