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Insolvenzanfechtung – quo vadis?

Das Thema Insolvenzanfechtung erregt die Gemüter – jetzt wird die Rechtsvorschrift reformiert. Im Interview sprechen Markus Freitag von AndresPartner und Dr. Volker Hees von Hoffmann Liebs Fritsch darüber, wohin aus ihrer Sicht die Reise bei der Insolvenzanfechtung geht.

 

InsolvenzBlog: Herr Freitag, warum überhaupt Insolvenzanfechtung?

Markus Freitag: Das Anfechtungsrecht – so der erklärte Wille des Gesetzgebers bei der Einführung der Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 – sollte gestärkt werden, um Vermögensverschiebungen im Vorfeld einer Insolvenz zu verhindern und so auch einen Wettlauf der Gläubiger zu unterbinden. Das Anfechtungsrecht ist somit ein wichtiges Instrument, um auch die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts zu gewährleisten.

InsolvenzBlog: Herr Dr. Hees, was halten Sie von § 133 InsO?

Dr. Volker Hees: Ich kenne aus meiner Praxis keinen einzigen Fall, wo § 133 InsO gegenüber dem Anfechtungsgegner nicht als Anfechtungstatbestand geltend gemacht wird, mit Ausnahme von Zwangsvollstreckungen oder anderen Inkongruenzen in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantrag, für die bereits § 131 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 InsO ausreicht. § 130 InsO spielt praktisch keine Rolle, die Anforderungen sind gleich oder höher. Der Insolvenzverwalter kann also mit einer Art Generalklausel, die eigentlich nur für die bösartigen Fälle von Vermögensverschiebungen erdacht wurde und nur durch Rechtsprechung ausgestaltet ist, mit einem extrem weiten Anwendungsbereich jedwede Zahlung oder Vermögenstransfer der letzten zehn Jahre anfechten. Für Gläubiger und Lieferanten eigentlich ein untragbarer Zustand, mit vermeintlich kriselnden Unternehmen dürfte niemand mehr Geschäfte tätigen oder diese beliefern; Kenntnis von Umständen, die auf irgendwann in Zukunft drohende Zahlungsunfähigkeit hinweisen, reicht.

InsolvenzBlog: Der Gesetzgeber hat nun das Anfechtungsrecht reformiert, von Entschärfung war die Rede. Gut oder schlecht?

Markus Freitag: Sicher war es sinnvoll, nach einer gewissen Zeit darüber nachzudenken, ob die einmal geschaffenen Regelungen noch der aktuellen Situation gerecht werden. Bei der Diskussion über eine Reform des Insolvenzrechts sollte man aber auch bedenken, dass gerade das Anfechtungsrecht häufig ein Garant dafür ist, dass Verfahren überhaupt eröffnet werden können und es nur auf diese Weise zu einer ordnungsgemäßen Abwicklung der Unternehmen kommt. Auch sollte durch eine Reform nicht einzelnen Interessengruppen Vorteile gegenüber den sonstigen Gläubigern eingeräumt werden. Gerade dies wollte und sollte das Anfechtungsrecht verhindern.

InsolvenzBlog: Waren Änderungen im Anfechtungsrecht eigentlich erforderlich?

Dr. Volker Hees: Ich meine ja, auch wenn der BGH in letzter Zeit bereits einige Korrekturen vorgenommen hat, wodurch der Anwendungsbereich von § 133 InsO wieder kleiner geworden ist. Zehn Jahre mögliche Anfechtung von berechtigten Zahlungen sind zu viel. Drohende Zahlungsunfähigkeit ist nicht definiert und wird allzu leicht bejaht. Weiter müssen m. E. Zwangsvollstreckungen anfechtungsfest sein. Unverständlich ist hier, dass ein mit Titel vollstreckender Gläubiger das gepfändete Geld wieder herausgeben muss, wenn er die Pfändung binnen drei Monaten vor Insolvenzantrag vollzieht, es aber behalten darf, wenn er drei Monate und einen Tag vor Insolvenzantrag pfänden kann. Er hat sich ans Gesetz gehalten, einen Titel erwirkt und mit Hilfe des Staates alles richtig gemacht. Das sogenannte Bargeschäft sollte deutlich ebenso bei § 133 InsO gelten. Auch die Verzinsung bereits ab Insolvenzeröffnung, und zwar richtigerweise erst ab dem Tag nach der Eröffnung (§ 291 ZPO), führt mitunter zu einer extremen Belastung des Anfechtungsgegners, wenn der Verwalter sechs- oder siebenstellige Beträge erst nach Jahren geltend macht.

InsolvenzBlog: Warum § 133 InsO nicht gleich komplett abschaffen?

Markus Freitag: Dies wäre sicher ein fatales Zeichen. Ohne das Korrektiv des § 133 InsO würde Missbrauchsmöglichkeiten im Vorfeld einer Insolvenz Tür und Tor geöffnet. Der Paragraph erfüllt eine wichtige Funktion, um gerade auch im Interesse aller Gläubiger die Insolvenzmasse zu sichern. Daher sollte bei der anstehenden Reform darauf geachtet werden, dass eine Aushöhlung der Vorsatzanfechtung nicht stattfindet und durch neue Regelungen oder Tatbestandmerkmale die Rechtsunsicherheit vergrößert wird. Der Kerngehalt des § 133 InsO sollte daher nicht angegriffen werden. Eine Verkürzung der Anfechtungsfrist auf vier Jahre, mit Ausnahme von klaren Missbrauchsfällen, war eine Überlegung wert.

InsolvenzBlog: Die Reform der Bundesregierung verfolgt unter anderem das Ziel, den Wirtschaftsverkehr sowie Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten zu entlasten. Tut sie das?

Dr. Volker Hees: Ja. Gläubiger können Ratenzahlungsvereinbarungen schließen oder Zwangsvollstreckungen ausbringen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihnen dies sofort zum Nachteil gereicht. Lieferanten und Vertragspartner können wieder besser beurteilen, ob sie bei Empfang der vertraglichen Leistung anfechtungssicher handeln, wenn ihnen nur positive Kenntnis von bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit bzw. Zahlungseinstellung schadet. Die Begrenzung auf einen Anfechtungszeitraum von vier Jahren hilft auch bei der Risikoeinschätzung. Die Arbeitnehmer sind jetzt noch besser über Bargeschäfte geschützt, sie können ihren Lohn selbst dann behalten, wenn der kriselnde Arbeitnehmer sie erst drei Monate später bezahlen kann. Das hilft auch bei der Sanierung. Dagegen bleiben leider für die anderen Gläubiger trotz Abwicklung von Bargeschäften gewisse Unsicherheiten, weil dieser schlecht beurteilen kann, ob der Schuldner bei Abschluss des Geschäfts unlauter handelt. Seine Bargeschäfte muss er – im Gegensatz zum Arbeitnehmer – grundsätzlich weiterhin binnen 30 Tagen abwickeln, hier wären drei Monate wünschenswert gewesen.

InsolvenzBlog: Die Bundesregierung stellt fest, dass die geltende Regelung zur Verzinsung des Anfechtungsanspruchs wenig interessengerecht ist, weil sie Anreize zu dessen verzögerter Geltendmachung schafft und den Rechtsverkehr belastet. Wird mit der Reform jetzt Abhilfe geschaffen?

Markus Freitag: Vorrangiges Ziel ist immer die schnellst mögliche Durchsetzung alle Ansprüche im Interesse der Gläubigergesamtheit. Von daher halte ich die Gefahr einer verzögerten Geltendmachung wegen möglicher höherer Zinseinnahmen für nicht wirklich gegeben. Dennoch war es sinnvoll, den Zinsbeginn neu zu regeln. So soll nach dem Reformentwurf eine Verzinsung erst dann erfolgen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Schuldnerverzuges vorliegen. Diese Neufassung trägt sicher den geäußerten Bedenken Rechnung und ist praktikabel.

InsolvenzBlog: Was sollte denn noch alles geändert werden?

Markus Freitag: Im Rahmen des § 133 InsO soll nicht mehr auf den Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit abgestellt werden, sondern es muss bereits die Zahlungsunfähigkeit eingetreten sein. Auch soll im Falle der Zahlungsvereinbarung oder einer vereinbarten Zahlungserleichterung zugunsten des Gläubigers seine Unkenntnis von der Zahlungsunfähigkeit vermutet werden. Unklar bleibt dabei, wie die Eignung einer Vereinbarung zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit geprüft werden soll.

Weiter soll auch der sogenannte Bargeschäftseinwand auf Fälle des § 133 InsO Anwendung finden. So soll der Bargeschäftseinwand nur dann entfallen, wenn der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelt. Diese Ausweitung führt schlicht zu mehr Rechtsunsicherheit. Die Versuche der missbräuchlichen Umgehung werden sich dadurch erhöhen.

Neben den diskutierten Änderungen zu § 133 InsO war ursprünglich auch angedacht, im Rahmen der Anfechtung von Zwangsvollstreckungen in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragstellung eine wesentliche Änderung vorzunehmen. Nach der bisherigen Konzeption unterfallen Zwangsvollstreckungen innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung der sogenannten inkongruenten Deckung, was zu einer vereinfachten Anfechtbarkeit führt. Der ursprüngliche Reformvorschlag sah hier vor, dass allein durch die Tatsache einer Zwangsvollstreckung diese Rechtshandlung nicht automatisch zu einer inkongruenten wird. Diese Änderung hätte aber zu einer unangemessenen Privilegierung öffentlicher Gläubiger geführt, die ohne langwieriges Gerichtsverfahren sich selbst einen Vollstreckungstitel schaffen können. Sie erhalten damit einen erheblichen zeitlichen Vorteil vor allen anderen Gläubigern. Gerade diesen Wettlauf der Gläubiger und dieser Besserstellung einzelner Gläubiger muss das Anfechtungsrecht verhindern. In dem nun zur Abstimmung vorgelegten Gesetzesentwurf ist dieses „Fiskusprivileg durch die Hintertür“ nicht mehr enthalten, was begrüßenswert ist.

InsolvenzBlog: Gehen diese Änderungen weit genug?

Dr. Volker Hees: Ich glaube, alle Beteiligten können mit den Änderungen erst einmal gut leben und Erfahrungen sammeln, sehr weit sind sie ja nicht von der aktuellen BGH-Rechtsprechung entfernt. Bei der Abwicklung von Bargeschäften hätte ich mir den Ausschluss jedweder Anfechtung gewünscht, egal ob § 133 oder § 131 InsO erfüllt sind; man könnte hier sogar die Beweislast zu Lasten des Insolvenzverwalters umkehren. Vorkasse und andere Bargeschäfte sollten ein zu 100 Prozent sicheres Mittel sein, Geschäfte miteinander abzuwickeln, selbst wenn ein Partner schon tief in der Krise steckt. Das Krisenunternehmen muss weiter gute Chancen haben, Vertragspartner zu finden, die noch Geschäfte mit ihm tätigen wollen. Der Rechtsanwalt oder Sanierungsberater will z. B. auch nicht spekulieren müssen, ob seine Beratung noch dem Unternehmen nützt bzw. notwendig ist oder nicht. Wichtig ist auch, dass es keine neuen Sonderrechte für einzelne Gläubigergruppen gibt.

InsolvenzBlog: Gelten die Änderungen eigentlich nur für neue Insolvenzverfahren oder können in der Vergangenheit mit der Anfechtungsthematik konfrontierte Gläubiger auf Basis der Neuregelung ihren Sachverhalt neu bewerten lassen?

Dr. Volker Hees: Die Reform sieht natürlich eine Übergangsvorschrift vor. Danach werden die neuen Regelungen zur Insolvenzanfechtung erst dann Anwendung finden, wenn das betreffende Insolvenzverfahren am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes oder später eröffnet wird. Ausnahme: Die Begrenzung der Zinsregel, wonach Zinsen erst bei Verzug anfallen, gilt dagegen auch schon für bereits eröffnete Verfahren. Die Zinsregel ist also sogleich „kassenwirksam“. Für in der Vergangenheit mit einer Anfechtung bereits konfrontierte Gläubiger bedeutet dies, dass für sie noch die „alten“ Vorschriften gelten. Eine Neubewertung des Sachverhalts wird daher leider nicht möglich sein. Gleichwohl wird das neue Recht sicher Ausstrahlungswirkung haben, sofern es jedenfalls um eine Gesamtwürdigung von Umständen und Auslegungsfragen gehen sollte.

 

Dr. Volker Hees: Dr. Volker Hees ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und Partner bei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner Rechtsanwälte mbB in Düsseldorf. Er berät Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter seit 1999 schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht, Handelsrecht und Gesellschaftsrecht einschließlich Restrukturierung und Sanierung sowie Haftungsrisiken. Darüber hinaus berät er Unternehmen bei der Abwehr von Wirtschaftsrecht und Mitarbeiterkriminalität. Hees veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge zu relevanten Fragen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts sowie der Wirtschaftskriminalität. Kontakt: volker.hees@hlfp.de, 0211/518 82-135.

Markus Freitag: Markus Freitag ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Partner der überregionalen Sanierungskanzlei AndresPartner. Vom Amtsgericht Kleve wird er als Insolvenzverwalter, Sachverständiger und Treuhänder bestellt. Darüber hinaus berät er Unternehmen im Insolvenzvorfeld, in der Krise und bei Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (§ 270a InsO). Seit 2001 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Vor Beginn seiner juristischen Laufbahn hat er eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert. Kontakt: freitag@andrespartner.de, 0211/27408-569.

 

Bildquelle: Susann von Wolffersdorff / www.pixelio.de

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